Die kahlen Hänge, sie tun mir weh. Die nackte rotbraune Haut der Erde, die sich überall zeigt, weil die Hügel unter den gerodeten Kuppen wegbrechen nach Regen und Wind oder jemand neben seiner Hütte den Berg einfach abgegraben hat. Wie auf einem Kuchenblech sieht es aus, halbe Stücke stehen herum, gerade abgetrennt wie mit der Tortenschaufel. Immer wieder dieses Bild, halbe Hügel ohne Wald mit klapprigen Häusern darunter, rotbraun, ocker, dunkelgelb.
Die Bäume sprechen nicht mehr im Norden entlang der neuen Straße an die chinesische Grenze. Sie sind fast alle weg oder Plantagen aus Gummibäumen oder Bananenpalmen gewichen, die die Erde nicht halten können und keine Grundlage für ein widerständiges und artenreiches Ökosystem sind. Der Wald, sagt Sonja Schirmbeck, hat in Vietnam schon verloren. Und damit höre ich, was ich schon öfter gelesen habe: In den meisten Ländern der Region ist das Thema Regenwald durch, jetzt geht es um andere Rettungen: des sauberen Wassers, der Flüsse, der Erträge auf den Feldern, der Küsten, die überschwemmt werden. Oder der Reisfelder, in die das Salzwasser von unten eindringt, weil der Meeresspiegel ansteigt und der Mekong sich gleichzeitig immer stärker zurückzieht nach den Dutzenden von Staudämmen, die sie ihm angetan haben.
Die Fahrt macht die vorher gehörten Worte schmerzlich klar, jede Stunde mehr. „Das Thema Wald ist hier durch“. Er ist verschwunden. So wie in Europa an vielen Stellen, weil Römer und später Engländer ihn abgeholzt haben für Häuser, Kriegsschiffe, Waffen. Gab es alles schon, denke ich. Und sehe dabei vor mir das Buch, das Ranty vorhin gebracht hat: „From the Ruins of Empire: The Revolt Against the West and the Remaking of Asia“, geschrieben vom wunderbaren indischen Essayisten Pankaj Mishra. Ein Mann der sehr klaren Worte. Gehen Reiche unter, wenn sie den Wald verlieren? Kurze Idee. Was hingegen bleibt, sind Wehmut und eine tiefer sitzende Traurigkeit über die sichtbare Naturzerstörung.
Natur – vermessen und veräußert
Umweltschmerzen, würde jetzt Joanna Macey sagen, die Buddhistin und Tiefenökologin. Wir sprechen durchaus über Schmerzen und Trauer, trauen uns aber selten, darüber zu reden, wenn Umweltzerstörungen Grund dafür sind. Warum? Wir haben die Natur vermessen, rationalisiert und verdinglicht und sie so aus unserer veräußerten, ausgesprochenen Gefühlswelt ausgeschlossen. Wer würde schon öffentlich sagen, er möchte einen Wald retten, weil er dessen Schönheit vermisse oder nur das erhabene Gefühl, das entsteht, wenn man Wald sieht, der bis zum Horizont reicht. Wenn es nichts anderes mehr vor einem gibt.
Schützen darf man aus anderen Gründen: weil es sich rechnet, das Klima davon profitiert, Arten erhalten bleiben und insgesamt eine wertvolle Ressource, wie die neue Umweltökonomie sagt und dafür die „ökosystemaren Dienstleistungen“ eines Hektars Wald ausrechnet. In Freiburg wären es 10.000 Euro. Ich arbeite im meiner Lehre genau mit diesen Argumenten und Zahlen und versuche so, über Fakten und wirtschaftliche Sichtweisen ein Waldbewusstsein zu schaffen. Aber ist es das? Zuvor, ganz am Anfang, ist die Emotion, Schmerz.
In Vietnam waren es 10 Millionen Hektar Urwald, geblieben sind 500.000 Hektar Dschungel. Der Rest sind Monokulturen, Stümpfe und Erde, auf der nichts mehr wächst, weil sie zum so und so vielten Mal bepflanzt und abgeerntet wird. In 25 Jahren, nach dem Ende der Handelsblockaden, ist dieses Land so schnell gewachsen wie viele andere in der doppelten Zeit; vielen Menschen geht es jetzt besser; auch weil sie klug, fleißig und pragmatisch sind. Sich zurücknehmen und dann wieder alles geben. Aber die Natur zahlt für das Entwicklungstempo.
Wasserfrevler Nr. 140 – wenige sind verschwenderischer
Beim Umgang mit den eigenen Wasserreserven gibt die Yale University Vietnam von 180 Ländern eine der schlechtesten Noten, Rang 140. Wasser wird verschmutzt, versalzen, verschwendet. Die Bauern leiden darunter, Ernten bleiben aus. Und im Sommer stellen sich Vietnamesen schon mal an in einer langen Schlange, um noch von irgendwo die erste Lebensgrundlage zu bekommen. Artensterben, Wald, Landwirtschaft, Küstenschutz – in einigen Feldern ist die Lage miserabel. In anderen sieht es besser aus wie etwa der Sauberkeit und Hygiene – wenn Wasser da ist, ist es zumindest sauberer geworden.
Insgesamt greifen die Klimafolgen das Land von allen Seiten an. Nur sechs Länder auf der ganzen Welt sind noch stärker vom Klimawandel betroffen als Vietnam, sagt der Index von German Watch. Und betroffen sind zuerst immer die Armen: Bauern, die Felder verlieren, Fischer, deren Fänge ausbleiben, weil die Flüsse versiegen, Arme, die am Flussufer hausen und von Stürmen und Fluten überrascht werden. Vietnam, Bangladesch, Pakistan, Indien – in Südasien sind manche Probleme sehr ähnlich.
Was kann ich davon den Mediendozenten erklären? Und wie? So, dass sie Klimafolgen lehren und ihre Schüler, die angehenden Journalisten, dann in so einer Weise berichten, dass womöglich mehr Bewusstsein entsteht und dadurch Vietnamesen vielleicht ihre Natur besser schützen und damit sich selbst. Denn Natur, das sind sie selbst, das sind wir. Sie ist nicht zu veräußern, als von der Gesellschaft auszuschließen mit Konzepten wie Natur hier und Kultur dort.
Es ist „interbeing“, wie der vietnamesische Mönch Thích Nhất Hạnh sagt, der Umwelt und Buddhismus zusammenführt. Ähnlich beschreiben es auch die Tiefenökologin Joanna Macey, der Umweltethiker Konrad Ott, Claus Eurich, Hans Jonas, Arne Naess und früh und groß die Kritiker Horkheimer und Adorno. Ich habe ihr Buch verteufelt, viele Male, weil ich es auf Französisch lesen musste, die schwerste Lektüre, an die ich mich erinnere. Und jetzt, in Vietnam – Dozenten in einer kommunistischen Journalismuskultur erreichen, Journalisten erreichen, Bewusstseins schaffen, ein Stück zumindest – schwer, großes Ziel, vermessen gar? Womöglich. Aber was sollen wir sonst anstreben und erreichen wollen hier: einfach spannendere Berichte anraten, gutes Essen mitnehmen, interkulturelle Begegnung haben?