Vor lauter Lehre habe ich die Blogs nicht mehr so im Blick. Jetzt aber einmal etwas mehr zu den Inhalten und der Weiterbildung selbst: Fünf Tage Lehre sind rum, und wie so oft war es zu viel, meist von 8.30 bis 17 Uhr mit eineinhalb Stunden Pause. Wir hatten die Aufgabe, zwei Gruppen, die beide bis auf einige Ausnahmen wenige Klimakenntnisse haben, erstens Klimapolitik und Klimaökonomie sowie Grundlagen der Umweltpsychologie näher zu bringen. Die zweite Aufgabe war Methodentraining, damit sie das Thema an ihre Studierenden vermitteln können.
Unsere erste 24er-Gruppe umfasste aus Dozenten für Soziologie, Sozialarbeit, Sprachen und Journalismus, die jeweils angehenden Journalisten ihr Fach vermitteln. Die zweite 19er-Gruppe hatte etwas mehr Mediendozenten, für TV, Radio und Zeitungen, dann aber auch einige Kollegen aus den Internationalen Beziehungen sowie Publikation und PR. Alle sind Dozenten in Hanoi an der Nationalen Medienakademie AJC.
Die 30-Minuten-Grenze
Jetzt, nach fünf Lehrtagen, sind 30 Minuten der Erfahrungswert und die beste Lehrdauer. Danach muss eine neue Methode kommen. Die Teilnehmer sind durchaus interessiert, haben aber auch andere Alternativen wie etwa die Bergstadt Sapa und ihre Touristen-Perspektive, sowie Handy und Laptops vor sich, die Neugier auf die anderen – gegen all dies müssen wir mit unseren Klimainhalten gewissermaßen bestehen.
Wir haben neben den Vorträgen versucht, viele verschiedene Methoden anzuwenden, haben Fragen ins Plenum gestellt, kleine Videos eingebaut und verschiedene Gruppenarbeiten gemacht: große mit 5er-Gruppen, in denen sie etwa die ihnen bekannten Klimafolgen in Vietnam zusammentragen und dann mit Karten an den Metaplan pinnen. Ein Sprecher jeder Gruppe stellte die Ergebnisse dann vor. Und es gab kleinere Gruppenarbeiten, in denen sich die Sitznachbarn gegenseitig befragten.
Mit einer großen Gruppenarbeit fanden wir in beiden Gruppen auch heraus, welche Methoden sie anwenden, da kamen Fishbowl und verschiedene Rollenspiele vor und vieles mehr – eine gute Grundlage.
Was gut ankam, waren die Positionsspiele, etwa so: Wer schon einmal etwa vom Zwei-Grad-Ziel in der Klimapolitik gehört hat, geht in die eine Ecke des Raumes, wer nicht in die andere. Kyoto-Protokoll, Englischkenntnisse, der Einfluss Vietnams auf den Klimaschutz – das und einiges mehr haben wir mit dieser Methode abgefragt und damit auch wertvolles Wissen darüber erarbeitet, was die Gruppe bereits weiß.
Groß Gruppe, kleine Gruppe?
Wir haben dann auf Basis der Gruppenarbeit alle Methoden, die sie und wir verwenden, zusammengetragen. Ich habe später kommentiert, inwieweit sie sich für das Klimathema und auch große Gruppen eignen. Das ist nicht so einfach, auch bei meiner hochschuldidaktischen Woche war es ein Unterschied: 90 Studierende oder 20-30, wie meistens bei uns in Darmstadt? Manche Methoden funktionieren dann einfach nicht.
Ein noch größeres Hindernis sind die Übersetzungen, wobei unsere beiden Übersetzerinnen sehr gut sind. Aber man muss sich immer daran erinnern, sonst ist man schnell davon geeilt und niemand versteht auch nur ein Wort. Vier oder fünf Sätze, dann anhalten, die Hälfte des Stoffes einplanen, den man sonst durchnimmt, den Kontakt zu den Übersetzerinnen halten, langsam sprechen – auch das sind kleine Lektionen. Weitere Punkte, die für die Lehre im internationalen und systemfremden Kontext hier relevant sind:
# Strukturen: Vieles Dinge, von denen wir zu Hause in der Lehre stillschweigend ausgehen (polit. Kultur etc.), können hier aufgrund des Systemunterschieds nicht vorausgesetzt werden. Das macht ein ziemliches Umdenken nötig.
# Sprache 1: Mit am schwierigsten fand ich es, von der impliziten Kenntnis internationaler Verträge und Organisationen auszugehen. Nein! Es werden v.a. nationale Quellen genutzt, da statt einer multipolaren Öffentlichkeit eine hierarchische Informationsarbeit von oben nach unten durch die staatlichen Medien stattfindet, Ausnahme natürlich inbegriffen. Internationale Quellen wie UN, Weltbank oder Asiatische Entwicklungsbank werden daher auch selten genutzt, wie unsere Umfragen ergaben – auch nicht, wenn die Texte in Vietnamesisch vorliegen.
# Sprache 2: Rund ein Drittel der Teilnehmer in beiden Gruppen versteht Englisch auf verschiedenen Ebenen. Das heißt für uns, bei den Materialien zur Heimarbeit nach Texten zu suchen, die in Vietnamesisch und Englisch vorliegen. Alles übersetzen zu lassen kostet zu viel. Google-Übersetzer scheidet übrigens bei der tonalen Sprache aus, es geschehen zu viele Fehler.
# Sprache 3: Die nächsten Seminare finden zu Themen wie Wald und Biodiversität, Energie, Küstenschutz, Verschmutzung, Landwirtschaft oder Aquakultur statt. Nicht überall gibt es dazu bei Weltbank, UN-Stellen oder Universitäten Texte und Studie in Englisch. Wir werden uns bei der Recherche anstrengen! Müssen.
# Gruppendebatten: Sie funktionieren sehr gut als Methode, klein und zu zweit, um eine Diskussion vorzubereiten oder größer in Gruppen von vier oder fünf Studierenden, um Meinungen und Einstellungen mit Hilfe von Karten und der Metaplan-Technik abzufragen. Allerdings beteiligt sich die Männer deutlich öfter; ebenso sind die Hierarchien anzuerkennen, in denen Diskussionen ablaufen: zuerst die höchstrangigen Mitglieder der Gruppe, etwa Leiter, einer Fakultät, dann Stellvertreter, dann die anderen. Es kann Sinn machen, hier stärker über die Gender-Perspektive und Frauenförderung in Debatten nachzudenken.
# Bestuhlung: Wir waren im Gästehaus der Partei untegebracht und lehren im Tagungssaal, der zwar geräumig ist, aber massive, sesselartige Stühle hat an einem langen U, was keinerlei Veränderungen zuließ.
# Vorhandenes Wissen: Es ist ungemein wichtig, mit einer Vorstellungsrunde sowie Positionsspielen oder anderen Methoden das Klimawissen in diesem Fall und die methodischen Erfahrungen abzufragen. Denn wir müssen die Gruppe, gerade vor dem Hintergrund der anderen neuen Kontexte und Systemunterschiede, genau kennenzulernen. Das Klimawissen war bei der zweiten Dozentengruppe ein klein wenig besser ausgeprägt. Heißt: Kyoto-Protokoll schon mal gehört in der Mehrheit, das Zwei-Grad-Ziel nicht.
# Kollektives Essen: Sehr wichtig und von mir unterschätzt. Es ist besser mitzuteilen, warum man nicht mit zum Essen abends geht oder nicht zum Nudel-Suppen-Frühstück morgens um Acht mit in die Stadt. Sie kümmern sich sehr, bringen ungefragt Essend aufs Zimmer oder einen vietnamesischen Döner noch schnell ins Seminar. Es gibt einen starken kollektiven Bezug, eine Gemeinschaft, die ungefragt läuft, und in die wir erst einmal voll integriert sind. Höflichkeit und Rücksicht spielen eine große Rolle.
# Information vs. Storytelling: Ich arbeite ja immer mehr zu diesem Thema, auch nun mit dem Projekt „Neues Erzählen“. Wir haben auch hier die Gruppen befragt und bei den 24 kannten zwei das Konzept des Geschichtenerzählens (ich habe es nochmal erläutert) und von den 19 drei vom Hörsensagen. Wir haben es also mit offenbar mit einer Journalismuskultur zu tun, die mit dominanten Formen wie Nachricht und Bericht stark faktisch und informationsorientiert geprägt ist und nach einem klaren top-down-Modell funktioniert. Wie lässt sich storytelling in diesem Kontext vermitteln und erklären? Und was lernen wir über die Antworten womöglich über unseren eigenen Storyhype, der alle, auch mich, befallen hat? Das sind die Fragen, die ich hier wissenschaftlich am interessantesten finde.